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Skitourengenuß durch Know-how und Risikomanagement

Interview VN – Geraldine Reiner – mit Martin Bentele, Instruktor Naturfreunde Vorarlberg

10.1.2025

 

Skitourengenuß durch Know-how und Risikomanagement

 

 

Skitourengehen und Winterwandern boomen. Sehr gut entwickelte Wettervorhersagen, die top Lawinenlageberichte, gute Ausrüstung für den Notfall und solide Forschungs- und die Aufklärungsarbeit der alpinen Vereinigungen helfen die Unfallzahlen in der Tendenz zu halten bzw. leicht zu senken. Sie sind jedoch noch immer zu hoch, weil ein großer Teil vermeidbar wäre. Auch Martin Bentele und die Instruktoren der Naturfreunde Vorarlberg arbeiten intensiv durch Skitourenkurse und Tourenwochen mit Ausbildungselementen daran, Wissen und Können zu vermitteln und risikobewußtes Verhalten einzuüben.

 

In jüngster Zeit ist es in Vorarlberg zu einigen Lawinenabgängen gekommen. Was sind die Hauptursachen?

Lawinen und Gefahren gab es immer und wird es in den Bergen immer geben. Sie sind ja nur dann problematisch, wenn wir Menschen uns in ihre Nähe begeben ohne entsprechende Kenntnis, Um- und Vorsicht oder mit zu viel Risiko. Skitourengehen ist ein schöner, gesunder und inzwischen auch recht sicherer Sport geworden.

Die Änderungen der Wetterlagen und in der Folge der Schneedecken im Winter bewirken jedoch auch Änderungen bei den Gefahren – gerade auch im Mittelgebirge: vermehrt harte Schneefelder oder viel mehr Gleitschneelawinen (bisher Grundlawinen genannt). Und dünne Schneeschichten mit anschließend längeren Kälteperioden im ersten Teil des Winters begünstigen später schwer erkennbare störanfällige Schichten in der Schneedecke.

Diese Situation haben wir seit einigen Jahren. Das kann leicht auch heuer, wie in den Wintern 2021 / 2022 und 2022/2023 zu im Fachjargon sogenannten „Lawinenzeiten“ mit einem plötzlichen Ansteigen von Lawinenabgängen und Unfällen in begrenzten Zeiten und Regionen führen. Jedes Jahr 8-9 Tote in 3-4 Tagen im Februar?! Das sind 20-25% der Lawinentoten. Würden sich die Tourengehenden in solchen Perioden mit zugegeben herrlichem Neuschnee massiv zurückhalten, würden die Unfalltoten und wohl auch die Verletztenzahlen deutlich niedriger sein.

Ist das Lawinenrisiko derzeit besonders hoch – wieso?

Das Hauptrisiko sind gerade die mit starkem Wind verfrachteten Triebschneeablagerungen bei Gefahrenstufe 3 in höheren Lagen ab 2.000 m. Die am schwierigsten einschätzbare Stufe – folglich mit den meisten Unfällen. Da braucht es für die Tourenplanung und –führung schon Personen, die sich sehr solides Wissen und mehrjährige Erfahrung haben. In höheren Lagen über ca. 2.400 m gibt es eingeschneite Schwachschichten, darunter ist Gefahrenstufe 2, da können die schon erwähnten Gleitschneerutsche bis zum Boden oder harte Firnfelder gefährlich sein.

Worauf sollten Tourengeher derzeit und im Allgemeinen besonders achten?

Lesen – nein – studieren Sie die Lawinenlageberichte. Jedes Wort. Genau. Und halten Sie sich an die Empfehlungen. Solange Sie sich nicht länger und intensiver mit den Themen befasst haben sollten Sie eine defensive Tourenwahl anwenden. Genießen Sie und holen Sie sich den Nervenkitzel woanders!

Und nehmen Sie sich bald mal die Zeit für einen oder mehrere intensive Kurse, denn der Lawinenlagebericht liefert allgemeine Daten und Einschätzungen, wenn Sie auf Tour sind, müssen Sie diese Daten mit der Realität an dem bestimmten Tag und Hang überprüfen. Und das lernt Mann wie Frau nicht in einem Tageskurs!

Welche Rolle spielt die Lawinenwarnstufe bei der Tourenplanung?

Die Lawinengefahrenstufen richten sich nach dem aktuellen Schneedeckenaufbau in bestimmten Höhenlagen und den gefährlichsten Hängen sowie der zu erwartenden Wetterlage. Vereinfacht gesagt können wir die konkreten Gefahren für uns reduzieren, indem wir auf Hänge mit problematischen Ausrichtungen (z.B. Nord und Ost) und / oder bestimmte Neigungen (z.B. über 30° an der steilsten Stelle) verzichten. Oder zum Beispiel nicht in von der Sonne völlig durchweichte Hänge steigen oder Rinnen queren, sondern solange sie hart sind.

Was sind die häufigsten Fehler, die Freizeitsportler bei Skitouren machen? Sind sie deiner Meinung nach gut genug ausgerüstet?

Fehleinschätzungen passieren allen, ein Restrisiko bleibt, vor allem in steilen und eher wenig begangenen Routen. Wer da nicht defensiv agiert und ohne Gesichtsverlust auch umkehren oder eine sicherere Alternative benutzen kann, der lebt gefährlicher. Ein besonderes Problem ist die Selbstüberschätzung und blindes – also nicht durch eigenes Mitdenken entstandene - Vertrauen in erfahrene Führende. Gut ausgebildete, kritisch mitdenkende Teilnehmende bringen Führende manchmal in schwierige Situationen, sie können aber auch ein gutes Korrektiv zur sogenannten Expertenfalle sein.

Der Ausrüstungsstandard ist inzwischen nach meiner Wahrnehmung recht hoch und gewachsen ist auch das Problembewusstsein allgemein. Allerdings halten sich bei machen „alten Hasen“, Alleingängern und jungen Draufgängern – meist männlichen Geschlechts, unsinnige Einstellungen wie, dass man erst ab Stufe 3 das Lawinenverschüttetensuchgerät einschalten muss, oder dass Hänge, in die schon jemand reingefahren ist, oder sog. Löwenmäuler, sicher sind.

Wie wichtig ist die richtige Ausrüstung (z.B. LVS-Geräte, Sonde, Schaufel)?

Die genannten Geräte sind Standard, das Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS) sollte über drei Antennen verfügen und – optimal jährlich vor Saison - einer Prüfung durch den Hersteller unterzogen sein. Die Batterien sind zu wechseln. Ein gutes Mobiltelefon mit aufgeladenen Batterien wie eine gute Landkarte (ggf. Ausdruck) und eine Erste Hilfe Päckchen gehören unbedingt dazu. Helm für die Abfahrt ist inzwischen auch schon fast Standard und bei schneearmen Wintern sowieso zu empfehlen.

Auf zwei Gegenstände möchte besonders aufmerksam machen: Harscheisen gehören zur Bindung, werden aber nie mit verkauft oder gar angeboten. Meines Erachtens ein Fehler. Denn sie sind bei sehr harten Passagen, die vermehrt auch im Mittelgebirge auftreten, sehr hilfreich, um in diesen Fällen noch mit den Ski höher steigen zu können. Und ein Zweimann -Biwaksack spendet nicht nur Schutz vor Wind und dem Auskühlen sondern ist für vielfache Zwecke wie Biwackbau, Abtransport eines Verletzten an einen sichern Ort … sehr hilfreich. Einmann-Biwacksäcke sind dafür nicht geeignet. 

Du gibst auch Skitourenkurse. Auf was legst du dabei besonderen Wert? Wie vermittelst du den Teilnehmern ein Bewusstsein für die Risiken?

Ich bin gerne Berglehrer, freue mich über die Neugier von Teilnehmenden und helfe ihnen, sich in diesen für die Menschen unwirtlichen Orten sicher zu bewegen, die Schönheit der Natur zu genießen und das Zusammenspiel von körperlicher Anstrengung, Geist und Seele wie auch Freundschaft in dieser dem Alltag entrückten Welt zu erleben.

Wir sprechen viel über die Gefühle der Freude, die Schönheit, aber auch über Angst oder Unsicherheit und schlechte Erfahrungen. Theorie und Praxis wechseln sich ab, bereichern sich. Wir machen nur kleine Übungstouren. Wir planen die Routen digital und analog und beraten die Entscheidungen auf Tour gemeinsam. Immer ist eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer für einzelne Abschnitte in der Führungsrolle und macht eine eigene Spur, ich gehe beratend und hinterfragend direkt dahinter. Das fordert zwar, ermutigt aber auch enorm.

Und in den Kursen machen wir zwei Skitechniktage, denn viele trauen sich nicht in Tiefschnee und kennen die hilfreichen speziellen Techniken für schwierige Schneeverhältnisse wie Bruchharsch oder stark verfahrende Hänge nicht. Dennoch sollten sie sicher wieder ins Tal kommen!

Gab es Situationen, in denen du eine Tour abbrechen musstest, weil dir das Risiko zu groß war?

Natürlich. Bei den Kursen entscheiden die Teilnehmenden darüber. Ich würde nur bei übersehener Gefahr mein Veto einlegen.

Seit wann bieten die Naturfreunde solche Kurse an – warum?

Einwöchige Skitourenkurse mit Ausbildungselementen bieten die Naturfreunde schon seit vier Jahrzehnten vorrangig in der Silvretta an. Ausgesprochene Ausbildungswochen seit ca. 15 Jahren. Seit einigen Jahren machen wir auch Ausbildungsangebote im Tal.

Die Naturfreunde wollen breiten und allen Gesellschaftsschichten einen leistbaren Zugang zur Freizeitgestaltung in den Bergen und der Natur ermöglichen. Zudem: Ich bin gerne in den Bergen und dort als Lehrer und Führer tätig! Das bekomme ich für mein ehrenamtliches Engagement zurück!

Was war deine prägendste Erfahrung als Skitourengeher/-führer?

Der Aufstieg und dann die traumhafte 1000 Höhenmeter lange Abfahrt über den unverspurten, tiefverschneiten Gletscherarm der Schneeglocke (3.300m) ins Klostertal mit einer Gruppe aus Familie und Freunden.

Welche Botschaft möchtest du den Lesern unbedingt mitgeben?

Genießen Sie die Natur und Berge! Sie sind auch ein ideales „Trainingsgerät“ oder Umgebung um sich abzureagieren, zu messen oder riskante Höchstleistungen zu erbringen.  Aber bitte nehmen wir den Leistungsdruck, der in der gesamten Gesellschaft inzwischen vorherrscht, doch raus! Zu unserer eigenen, breiteren Lebenserfahrung und Gesundheit.

 

Martin Bentele

69 Jahre, Bregenz, Sozialarbeiter, Supervisor und Coach, Organisationsberater.

Seit 45 Jahren bei den Naturfreunden, seit über 40 Jahren als Instruktor für Klettern, Bergsteigen und Skibergsteigen tätig. Langjähriges Mitglied des Naturfreunde-Bundeslehrkaders Alpin und Ausbildner in den Lehrwarteausbildungen der BAFL Linz für Bergsteigen und Skibergsteigen.

Kontakt: martin.bentele@gmail.com, 0676/6797587

 

Homepage Naturfreunde Vorarlberg: https://vorarlberg.naturfreunde.at/

 

 

Für die Teilnahme an den Ausbildungen ist die Naturfreunde – Mitgliedschaft Voraussetzung.

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